Freitag, 12. Juli 2019

Socks and the City - Zu Fuß durchs Erfurter Hinterland (Tag 1)

In 80 Tagen lies Jules Verne seinen britischen Edelmann Phileas Fogg um die Welt reisen. Leider ist dieser Roman bereits geschrieben. Hier lässt sich kein Ruhm mehr ernten. In Zeiten virulenter Flugscham und allgegenwertiger Regionalität, bleibt also nur noch ein Abenteuer, dass extrem genug ist um Reise-Geschichte zu schreiben: Die Umrundung der eigenen Heimatstadt in vier Tagen! - Socks and the City.

Es geht doch nichts über einen gut durchdachten Plan.

Tag 1: Vom Franz Mehlhose nach Obernissa


Los geht's am Franz Mehlhhose in der Löberstraße, nahe des Juri Gagarin Rings. Der Weg aus der Stadt führt in Richtung Süden. Nach 300 Metern entdecke ich ein Schild, dass „Vampirlifting“ anbietet - mit Eigenbluttherapie! Und das drei Minuten nach dem Start. Diese Wanderung verspricht interessant zu werden.

Von wegen, Schönheits-Medizin wäre nicht seriös!
Von wegen, Schönheits-Medizin wäre nicht seriös! 

Im Dichterviertel halte ich beim Geldautomat, bei Netto und dann noch mal bei Teegut. Ausbeute der Einkaufsorgie: Sonnencreme, eine Flasche Wasser, und eine wasserdichte Handyhülle zum Umhängen. Erste Zwischenbilanz: Eine Stunde für einen Kilometer Wegstrecke. Wenn das so weiter geht werden vier Tage nicht reichen. Am Waldcasino drehe ich mich noch mal um: Mach's gut Erfurt - Hallo Vororte von Erfurt.

Möbisburg-Rhoda

Erster Ort auf der Strecke ist Möbisburg-Rhoda. Der Weg führt durch den Steiger, vorbei an Krötentunneln und dem Ausflugslokal Waldhaus. Es wird die letzte offene Gaststätte sein, die ich bis zum Abend sehe. In Rhoda begegnen mir ein Bus, ein Mann und dessen Hund, namens Emily. Ein chinesisches Modell mit eingedrückter Schnauze. „Der ist über die neue Seidenstraße gekommen“, sagt Emilys Herrchen. Vermutlich ein politischer Witz. Ich gucke den Mann verständnislos an - Smalltalk kann ich!

Einwohner Möbisburg-Rhodas

Ansonsten scheint Rhoda nur aus einer Hauptstraße mit Häusern zu bestehen. Das Restaurant im Hotel hat heute Ruhetag. Das Antikstübchen hat auch zu. Also folge ich dem Wegweiser nach Waltersleben. Auf dem Weg dorthin treffe ich wieder einen Mann mit Hund. Nächster Smalltalk Versuch:

„Geht's da lang nach Waltersleben? Isses noch weit? Was gibt's da zu essen?“ – Ich lerne schnell.

Zu essen gibt es dort aber nichts, einen Laden sowieso nicht. Er empfiehlt mir die Kantine von Möbel Rieger an der Autobahn. – „Wussten Sie, dass ein Mensch sieben Tage ohne Essen überleben kann?“ versuche ich es wieder mit Smalltalk. - Das war wohl nix.

Hinter dem Feld liegt Wandersleben. Und hinter Wandersleben liegt die Kantine von Möbel-Rieger.


Waltersleben

Im Ort treffe ich niemanden, außer drei Pferden. Eine Frau sitzt in ihrem Garten und liest. Der Spielplatz beherbergt zwei der sinnlosesten Spielgeräte die ich jemals sah: Ein überdimensionales Kugel-im-Labyrinth-Spiel und ein fest aufgebrachtes Himmel-und-Hölle-Spiel mit angenehm weichen Gummi-Hüpfflächen für geschätzt 20.000€. Thüringen – quo vadis?

Nix zu essen, aber ein gummiertes Himmel und Hölle-Spiel für geschätzt 20.000 Euro. - Thüringen quo vadis?


Egstedt

Weiter geht's auf der Landstraße Richtung Egstedt. Langsam bekomme ich ernsthaft Hunger. Ich vertilge ein paar Löwenzahnblätter vom Wegesrand und noch ein paar, dann noch welche. Im Ort unterhalte ich mich mit einer Frau über die Abwesenheit von Nahrungsangeboten. Das Thema beginnt zu einer fixen Idee zu werden.


In der Straße mit den neugebauten Einfamilienhäusern hängen noch die FDP-Plakate von der letzten Wahl. Und die sind nicht mal beschmiert !!! Mir reicht‘s. Ich hau ab.

Unerträglich: Ein unbeflecktes FDP-Plakat

Schellroda


Ich passiere einen Truppenübungsplatz und das Forsthaus Willrode mit seinem geschlossenen Wildladen. Und ich hätte mir doch so gerne ein Schwein gebraten. In Schellroda klingelt mein Telefon. Meine Freundin will wissen wo ich bin. 

„Schellroda“
 „Hä?“ 
„Schellrodaaaa!“ "
Chill-Roda?“ 
 „Nein!!!!“ 

Ich lege entnervt auf. Das markanteste an Schellroda ist übrigens das immer währende Geräusch der nahen Autobahn. Die Kirche hingegen ist gut versteckt. Obwohl man den Kirchturm von überall sieht, finde ich keinen Weg dorthin. Vielleicht liegt’s auch am Hunger.

Unerreichbar?: Die Kirche von "Chill-Roda". 


Raststätte Haarberg

Die nächsten Kilometer bis zur Raststätte Haarberg lege ich stolpernd zurück. Jetzt ist auch noch das Wasser alle. Zum Glück verlaufe ich mich und stoße dabei auf eine Quelle. Die Raststätte Haarberg war früher mal ein florierender Imbiss mit Bratwurststand und urigem Interieur à la Honeckers Jagdhütte. Heute verspricht das Schild „Spielhalle“ eine verrauchte Bude mit Automaten, Bockwurst und Filter Kaffee.

Wer rein will muss klingeln. Eine Tür-Kamera schaut direkt in die Seele des einsamen Klinglers. – Ich klingle nicht.

War früher mal cool: Raststätte Haarberg

Mit schmerzenden Füßen laufe ich Richtung Rohda (Nicht zu verwechseln mit Rhoda, man beachte die Stellung des „h“ hinter dem „o“). Im Geiste gehe ich alle Ernährungs-Alternativen durch: Pizza bestellen zur Bushaltestelle oder durchkämpfen bis zum Globus im Gewerbegebiet. Nebenbei checke ich mögliche Schlafplätze ab. Schließlich schleppe ich doch mein Zelt nicht umsonst 20 km durch die ehemalige DDR!


Rohda


Endlich ein Hof-Cafe. Trotz Pensionsgästen öffnet es der Betreiber aber nur am Wochenende. Ich überlege ob ich eines der niedlichen Katzenbabys entführe, die in der Sonne spielen. Nach einem kurzen Gespräch mache ich mich auf Richtung Obernissa. Das stand eigentlich gar nicht auf der Liste, aber dort soll es ganz bestimmt so eine Art Gast-Halle geben. „Die haben eigentlich immer auf“ meint der Hof-Mensch. Also noch mal zwei Kilometer den Berg rauf.

Appetitliche Katzenbabys in Rohda.

Obernissa

Kurz hinterm Ortseingang begegnet mir eine lang gezogene Baracke. „Freizeitzentrum Bowlingbahn„. Seufz, aber was hilft‘s? Das hier oder die Baby-Katzen. Und die liegen nun mal zwei Kilometer hinter mir. Ich bestelle ein Spiegelei,eine Portion Pommes und ein Bier.

Während ich warte, rede ich mit dem Betreiber. „Gibt's hier ne Pension?“ – „Ja, 200 Meter weiter beim Gasthaus!“. Innerlich verfluche ich alle alten und neuen Götter. Im TV läuft der Discovery Kanal auf Sky. Wir smalltalken über Karpfen (nicht von hier), das Wetter (früher war weniger Wind) und das Gasthaus am Haarberg (hat die Wende nicht überlebt). Ich zahle 7,50 € fürs Essen und laufe zur Pension um mir ein Zimmer zu nehmen.

Im  Hotelzimmer läuft "Die besten Hits der Volksmusik" - Leider bin ich zu schwach zum umschalten.

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Bildergalerie - Tag 1
Startpunkt der Reise.

An alles gedacht, außer an Blasenpflaster, Sonnencreme, Wasser und was zu essen.

Die letzte Nahrungsquelle für die nächsten 8 Stunden

Kurz hinter Erfurt beginnt die Freiheit

Kaum mehr als eine bebaute Straße: Möbisburg-Rhoda

Hier führt jemand Krieg mit den Behörden. Und alle dürfen teilhaben.

Ein Guter!

Eines von vier Lebewesen in Wandersleben 

Falls ich mal ein Alibi für fünf vor zwei brauche. Dieses Bild wird mich entlasten. 

Drogen sind keine Lösung.- Und selbst wenn, ich hatte nix dabei.

Im Forsthaus Willrode gibt es was zu essen. Aber nicht heute.

Hier geht's zum Autobahn-Feeling: Klick

Chillroda an der Autobahn

In einer Gegend ohne Einkaufsmöglichkeiten bekommen einsame Quellen im Wald plötzlich einen ganz anderen Stellenwert.

Ich glaube die Pommes kamen aus dem Backofen.

Obernissa von drinnen.

Einwohner Obernissas.



6 Kommentare:

  1. Wieso wird verdammt nochmal mein ernstgemeinter Kommentar zensiert??!!11

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    1. Keine Ahnung. Wusste nicht mal, dass wir hier zensieren. Verfluchte KI. Bitte nochmal posten 1!!11

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  2. Schöner Erlebnisbericht. wann kommt Teil 3?

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  3. Nach meiner Kenntnis tritt Teil 3 sofort in Kraft.... unverzüglich... (d.h. die nächsten Tage.)

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