Ich überquere die vierspurige Konrad Adenauer-Straße und bin auch schon in Dittelstedt. Vorbei an einem Laden der hochwertige Grills verkauft, bleibt mein Auge an einem Schild hängen:
Erfurter Salzgrotte. Als Sauna-Freund ist mein Interesse geweckt. Die Schilder führen mich in den Keller eines Bürogebäudes. Eingang B. im Untergeschoss, gegenüber einer Tieraztpraxis unterm Ingenieursbüro. Im salzigen Eingangsbereich unterhalte ich mich mit dem Mann hinterm Tresen aus Salz-Steinen. Eigentlich gehe es hier vor allen um Massagen. Der Salzraum ist auch nicht sehr saunahaft, sondern hat eine Temperatur von 21 Grad. Eine gesundheitlichen Vorteil könne er nicht versprechen, rein rechtlich. Es gebe aber Leute die kommen seit sechs Jahren hier her. Ich habe leider keine Zeit und bin auch ein bisschen von der Location abgeschreckt. Ich kaufe ein paar Salzbonbons und humpele weiter die Hauptstraße runter.
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Die Salzgrotte befindet sich natürlich im Keller des Bürogebäudes |
Peking City Dittelstedt
Mittlerweile ist es Mittag. Ich besuche ein absurd großes chinesisches
Restaurant und bezahle 6,90 € fürs Buffet. Außer mir ist noch ein älteres Ehepaar in dem vor Kitsch strotzenden Saal in Tennisplatzgröße. Seit 29 Jahren hält sich der Laden jetzt schon erzählt mir die Kellnerin auf Nachfrage. Das nenne ich mal traditionelle Thüringer Küche. Am Wochenende ist der Saal voll, berichtet das Ehepaar am Nachbartisch. Ohne Reservierung geht da nix!
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Traditionelle Thüringer Küche |
Eiscafe Sonja
Mein Dessert löffle ich im Eiscafe Sonja. Gibt's auch schon seit DDR-Zeiten. Es gibt Soft Eis in Original "nach-Pappe-schmeckender"
Waffel. Eine Frau kommt, bestellt ein großes Schoko-Vanille und faltet dann die Eis-Frau verbal zusammen, weil die noch mal irgendwas nachfragt. Ich bin fasziniert von so viel teuflischer Schönheit. Was könnte sie erreichen, wenn sie ihre Kräfte für das Gute einsetzen würde.
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Zucker- und Geschmacksfrei: Die Eiswaffel im Eiscafe Sonja. |
Henne Kaserne
Über eine bröckelige Straße kämpfe ich mich Richtung Norden. Ein mehrerere Fußballfelder großer Komplex versperrt mir den Weg: Die
Hennekaserne ist eine der diskretesten Kasernen die ich kenne. Wenn man nicht ab und zu dagegen laufen würde, könnte man vergessen, dass sie existiert. Was haben die zu verbergen???
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Was haben die zu verbergen ??? |
Robert Smiths Subway Filliale
Ich gehe links am Zaun entlang. Nach 20 Minuten betrete ich auf der Rückseite des Metro Marktes die Zivilisation. Ein paar hundert Meter weiter stoße ich auf eine Subway-Filiale. Wie die meisten Subway Filialen ist sie leer. Ich kaufe einen Kaffee und absolviere eine hochkomplexe Subway Bewertungsumfrage im Internet. Als Belohnung bekomme ich einen Cookie – ja, fein! Ich bin ein Guter!
Seit dem gestrigen Tag horte ich zwanghaft Lebensmittel. Ich möchte nie wieder hungern! Ich habe bereits ein altes Brötchen, einen Apfel, eine Packung Sole-Salbei-Bonbons und einen Glückskeks. Die Subway-Filiale gehört übrigens einem Robert Schmidt. Leute die sich an die Achtziger erinnern werden verstehen.
Linderbach und Azmannsdorf
Weiter geht's. Ich muss heute noch nach Stotternheim und mir tut jetzt schon alles weh. Die Orte Linderbach und Azmannsdorf verfehle ich knapp, weil ich zu früh abbiegen. Sorry!
Andererseits: Darum geht es doch beim reisen. Einfach mal den Plan ändern, ohne dass einen jemand auf den Sack geht. Der Arbeitgeber, der Vermieter, die Bank, die Mutti, der Vati. Einfach mal frei sein. Ha! Du kannst mich mal Azmannsdorf.
Kerpsleben – get ready to Rock!
Kerpsleben
Am Ortsrand fallen mir direkt zwei Dinge ins Auge. Eine Autowerkstatt mit dem denkwürdigen würdigen Slogan: "Hack – Karosserie und Lack." und ein Wohnhaus in Form eines italienischen Schlosses mit Türmchen und Säulen. Ich spreche eine Passantin an: „Wer bewohnt dieses Schloß, edle Dame?“ - "Das Haus gehört Herrm Hack!"
Ich staune: "What the fuck – Hack?"
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Hack - Karosserie und Lack |
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What the fuck, Hack? |
Fickt-Euch-Allee
Ich besorge eine Dose Sterni und mache mich auf dem Weg nach
Schwerborn. Der Pfad führt durch wogende Weizenfelder. Der Himmel hängt voller dramatischer Wolken. Mitten im Weizen ragt ein bewaldeter Hügel wie eine einsame Insel aus dem Meer. Ich überlege ob ich dort mein Zelt aufbaue. Noch wäre Zeit nach Kerpsleben zurückzulaufen um Dinge zu kaufen, die sich über einen romantischem Feuer rösten lassen. Doch leider muss ich feststellen, dass ich nicht allein auf der Insel bin. Der Hügel ist bewohnt! Zuerst sehe ich das Angeber Auto, ein SUV einer teuren Automarke, dann das Schild: „Zutritt verboten. Gelände wird überwacht“. Dann das Straßenschild "Fickt – euch – Allee“. Mein Sterni trinke ich dann lieber in sicherer Entfernung.
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Fickt-Euch-Allee |
Schwerborn
Mittlerweile ist es 18 Uhr. Mit letzter Kraft erreiche ich Schwerborn. Sieht eigentlich ganz niedlich aus. Die Dorfkneipe ist schön urig. Als ich eintrete verstummen die Gespräche der Männer am Tresen. Ich frage nach einem Zimmer. Der Wirt muss erst mal telefonisch nachfragen. Logisch, bei so nem Mega-Hotel. So langsam setzen die Gespräche wieder ein. Der Sänger von Rammstein hat in München irgend jemand eine "aufs Maul“ gehauen. Kann ja sein, hilft mir aber nicht weiter. Zimmer sind alle belegt, vermeldet der Wirt, vielleicht mal in
Stotternheim probieren. Ich breche innerlich zusammen und verfluche den Rammstein-Sänger mit seinen Luxus – Problemen. Sollte ich meine Prinzipien untreu werden und die zwei Kilometer mit dem Bus fahren? Ich sitze 20 Minuten an der Bushaltestelle und telefoniere mit Zuhause. Kurz bevor der Bus kommt laufe ich los.
Ich nehme den Weg am See entlang um potentielle Schlafplätze auszuspähen. Alles ganz schön, aber auch viele Schwirr-Viecher. Auf halber Strecke versperrt ein Zaun den Weg. Umkehren ist keine Option! Auf der anderen Seite des Zauns liegt ein perfekter Schlafplatz: Sauber, eben - eine kleine Bucht am
Luthersee. Ein Schild warnt: "Zelten verboten ! Von der Schusswaffe Gebrauch gemacht - Der Anglerverein" Ich laufe erst mal weiter. Es folgen weitere Schilder. Offenbar befinde ich mich auf Privatbesitz. Gerne möchte ich den wieder verlassen, doch die Zäune und Tore haben spitze Stacheln oben drauf. Nur ein Tor zum Nachbargrundstück scheint überwindbar. Ich klettere darüber. Hinterher merke ich dass es offen war.
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Fast wäre ich noch dem Kampfroboter des Anglervereins in die Arme gelaufen |
Stotternheim
Der neue Ort wirkt sehr einladend. Ein weitläufiger Park mit Volleyball Plätzen, doch vollkommen menschenleer. Fuck – das ist das
Strandbad Stotternheim! Schnell suche ich ein Tor zum drüber klettern. Genau wie Pferdemenschen, sind Bademeister ein elitäres Völkchen. Ein solcher Regelverstoß würde wahrscheinlich mit hochnäsiger Ungläubigkeit und den Worten: „Das ist jetzt nicht Ihr Ernst, oder???“ bestraft werden. Und ich bin nicht mehr in der Verfassung so viel Verachtung zu ertragen.
In
Stotternheim gibt es drei Pensionen. Alle sind belegt. In einer Stunde wird die Sonne untergehen. "Don't panic" - rufe ich mir die oberste Devise alle Reisenden in Erinnerung. Ich bestelle eine schöne Pizza. Mit Google Maps erwähle ich den
Klingensee zu zum Nachtlager. Mit wirklich aller letzter Kraft suche ich eine Stelle die nicht komplett mit Müll überzogen ist und errichte das Zelt. Eigentlich ist es nur eine Zeltplane. Das Innenzelt liegt zu Hause. War zu schwer. Trotz fortgesetzter Mückenattacken falle ich bald in einen tiefen Schlaf.
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Das Innenzelt liegt leider zu Hause. |
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30 Jahre nach der Wende wurde das Aufstellen eines Stein-Wegweisers schließlich genehmigt. |
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Womit die Frage beantwortet wäre, ob Kühe im Stehen schlafen. |
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Wichtige Erkenntnis: Ausnahmslos jeder Ort hat seine eigene Kirche |
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Friedhofsmauer in Büßleben: "Der Techniker ist informiert". |
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Gleich hinter der Konrad-Adenauer-Straße wartet Dittelstedt |
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Da kommt Stimmung auf. |
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Da kommt noch mehr Stimmung auf. |
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Chinatown in Dittelstedt |
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Der Innenraum des China-Restaurants ist absurd groß. |
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"All you can eat"-Buffet für 6,50€ |
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Die zukünftige Ursula-von-der-Leyen-Kaserne an der Henne |
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Das Betrachten dieses Bildes kann Depressionen auslösen. |
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Spielhalle und Subway teilen sich ein Gebäude. |
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Apfel, Glückskeks, Cookie, Salzbonbons, Brötchen, Kaffee |
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Kerpsleben! |
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Friedhofsromantik in Kerpsleben |
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Mitten im Weizenmeer zwischen Kerpsleben und Stotternheim liegt die Fickt-Euch-Allee. |
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Leider geil: Sterni |
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Schwerborn. |
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Es geht doch nicht über einen romantischen Sonnenuntergang. |
Fantastische Reiseprosa. Wo bleibt der 3. Tag?
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